„Deutschland braucht eine neue Aktienkultur.
Die Deutschen schätzen die Aktie nicht, viele meiden sie sogar. Aktionäre gelten als Spekulanten, die Börse als Casino.
Kurioserweise war es offenbar auch eine „Volksaktie“, die dem Volk die Aktie bis heute verleidet. Viele deutsche Kleinanleger machen seit der Enttäuschung mit der T-Aktie oder dem „Neuen Markt“ um Aktien einen großen Bogen. Manche haben bei den Börsengängen der Deutschen Telekom AG zum ersten Mal Aktien gekauft. Andere haben sich vielleicht von der Interneteuphorie um die Jahrtausendwende zu riskanten Investitionen in junge Technologie- und Telekommunikationsunternehmen verleiten lassen. Sie mussten durch das Platzen der „Dotcom“-Blase erhebliche Verluste einstecken.
Die Folge der Enttäuschung: Der Anteil der Aktien am Geldvermögen privater Haushalte in Deutschland ist seit dem New-Economy-Boom von rund 14 Prozent auf nur noch 5 Prozent zurückgegangen. Die Zurückhaltung beim Thema Aktie in Deutschland ist so stark wie in kaum einem anderen großen Industrieland. In Großbritannien besitzt jeder vierte Bürger Aktien, in der Schweiz jeder fünfte und in Schweden jeder sechste. Doch hierzulande gilt das nur für einen von 14 Menschen.
Das Misstrauen sitzt tief. So tief, dass selbst der Höhenflug der Indizes 2012/2013 kein Umdenken bewirkt hat.
Diese Reaktion ist individuell nachvollziehbar, aber langfristig betrachtet fatal. Wenn die Deutschen sich auf Dauer von Aktien fernhalten, dann gründen sie zum Beispiel ihre Altersvorsorge zu großen Teilen auf Anlageformen, die schon seit Jahren und vermutlich noch auf Sicht vieler Jahre nur noch minimale Zinsen abwerfen. Hier droht eine kalte Enteignung, die gewaltige Vernichtung von Privatvermögen. Und das erschwert die Sicherung des erreichten Wohlstandsniveaus – gerade in einem Land, in dem die Bevölkerung altert und schrumpft.
Der deutsche Anleger ist konservativ, das ist per se nicht falsch. Aber es wäre ein Fehler, die Veränderungen auf den Finanzmärkten zu ignorieren. Umfragen zeigen beispielsweise, dass viele Deutsche trotz der globalen Staatsschuldenkrise noch immer Staatsanleihen für sicherer und risikoärmer halten als Aktien. Doch stimmt das tatsächlich noch?
Was unabhängig von dieser Frage für viele Deutsche unumstößlich gilt: Sachwerte bedeuten Krisensicherheit. Damit ist in erster Linie Betongold gemeint – weniger hingegen Aktien. Dabei stehen diese ebenfalls für reale Werte. Genau genommen sind sie unternehmerische Beteiligungen, Aktionäre investieren in das Produktivvermögen von Aktiengesellschaften. Historisch gesehen hat sich die Investition in einen Unternehmenswert – verglichen mit mancher Staatsanleihe – in Krisen nicht als die schlechtere Entscheidung erwiesen. Und heute bietet eher die Aktie Renditechancen.
Fakt ist, der steile Anstieg der Aktienkurse 2012/2013 ist keineswegs eine Blase – das zeigen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse, die unter dem langjährigen Durchschnitt liegen. Das Verhältnis des Aktienkurses zum Gewinn je Aktie der 30 Dax-Werte lag zu Beginn 2013 bei circa 12 und damit nur gut halb so hoch wie im Börsenboomjahr 2000, als der Dax auf einem ähnlichen Niveau war wie heute. Der heutige Dax-Höchststand ist viel besser mit Unternehmensgewinnen unterlegt als der damalige Rekordstand. Hinzu kommt: Der Dax ist ein Performance-Index, Dividenden fließen in die Berechnung mit ein. Hohe Kurse spiegeln also nicht zuletzt den Unternehmenserfolg des letzten Jahrzehnts. Die Börse ist ein Kaufhaus, kein Spielcasino.
Wer sich von Vorurteilen gegen Aktionäre leiten lässt, vergibt eine Chance.
Aktuell werfen zum Beispiel Anleihen von Staaten mit guter Bonität oder auch manche Lebensversicherung nur noch sehr niedrige Renditen ab – die inflationsbereinigt kaum mehr Renditen heißen dürften. Hingegen bieten die starken Kursgewinne und steigenden Dividenden der Anlagegattung Aktie einen willkommenen Ausgleich für den Anleger. Doch bislang nutzen dies vor allem professionelle Investoren im In- und Ausland.
Viele Deutsche lassen diese Gelegenheit aus, Aufklärung ist gefragt. Der erste Schritt: fundierte Information. Dieses Factbook stellt Daten und Fakten zur Aktie für Sie bereit. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre und bin mir sicher, dass sie wertvolle Anregungen mitnehmen werden.
Deutschland braucht eine neue Aktienkultur – nicht im Sinne einer unkritischen Begeisterung, sondern im Sinne eines informierten, vorurteilslosen Umgangs mit einer unverzichtbaren Anlageform. Banken, Verbände und auch die Politik stehen hier gleichermaßen in der Verantwortung. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten. Lassen Sie uns auf Basis der Fakten diskutieren.
Dr. Thorsten Reitmeyer
Vorstandsvorsitzender der comdirect bank AG“
Auszug aus dem Factbook Aktie 2013 (Handelsblatt Research Institute und .comdirect)